Schwärme von Heuschrecken suchen weite Teile Ostafrikas heim. Wenn überhaupt, dann hilft nur noch Chemie. Sonst droht den Menschen dort die nächste Katastrophe.
Aufgeregt rennen Bauern über ihre Felder. Sie schlagen mit Tüchern auf Gras und Büsche, machen Krach. Es nützt nichts, wie die Fernsehnachrichten zeigen: Abermillionen von Heuschrecken machen sich derzeit über den Norden Kenias her. Der Schwarm ist so dicht, dass die Luft vor Insektenleibern nur so flirrt. Ende 2019 begannen riesige Heuschreckenschwärme sich von Somalia und Äthiopien weiter nach Kenia auszubreiten.
Inzwischen sind auch Dschibuti und Eritrea im Norden betroffen. Am vergangenen Wochenende fielen erste Schwärme in Uganda und Tansania ein, Südsudan bereitet sich ebenfalls auf eine Invasion der Schädlinge vor. Wenn es nicht gelingt, sie aufzuhalten, könnte die Insektenplage zu einer Hungerkatastrophe führen, vor der jetzt die Food and Agricultural Organization der Vereinten Nationen eindringlich warnt.
Invasion auf breiter Front: Die Heuschrecken-Lage am 10. Februar 2020
(Bild: F.A.Z. Graphik Sieber, Vorlage FAO)
Die Wüstenheuschrecke Schistocerca gregaria zählt zu den gefährlichsten Schädlingen weltweit. Sie lebt in trockenen Gebieten der Wendekreiswüsten von Nordafrika bis Pakistan und Indien. Ostafrika zählt zu ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet, doch eine Plage geradezu biblischen Ausmaßes hat die Region seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt. Für Kenia ist es die schlimmste Insektenattacke seit siebzig Jahren; Somalia musste den Notstand ausrufen. Grund ist ein Zyklon, der dem Land im Dezember ungewöhnlich heftige Regenfälle beschert und damit ideale Brutbedingungen geschaffen hatte. „Ausreichend Feuchtigkeit bedeutet ein üppiges Pflanzenwachstum und damit ein reiches Nahrungsangebot für die Wüstenheuschrecken“, sagt Thomas Fartmann, Biogeograph an der Universität Osnabrück. Den Insekten könne eine große Vielfalt an Pflanzen als Nahrung dienen, bevorzugt Gräser, Kräuter und Feldfrüchte. Heuschrecken seien wenig wählerisch.
Wüstenheuschrecken sind normalerweise Einzelgänger und als solche durchaus standorttreu. Zwei Wochen nach der Eiablage schlüpfen die noch flügellosen Larven, die sogenannten Nymphen. Sie entwickeln sich binnen sechs Wochen zu flugfähigen Heuschrecken; nach weiteren vier Wochen sind diese geschlechtsreif und können die Eier für die nächste Generation legen. Gibt es genug Nahrung, kommt es zu einer sprunghaften Vermehrung. Alle drei Monate verzwanzigfacht sich die Zahl der Tiere.
Ein Schwarm der Größe 60 mal 40 Kilometer
Drängen sich nun zu viele Larven in einem Gebiet, geraten sie unter Stress. Durch die ständigen Berührungen mit ihren Artgenossen wird der Botenstoff Serotonin ausgeschüttet. Die grünen Hüpfer werden erregt, verfärben sich gelb-braun und finden sich zu großen Schwärmen zusammen, um auf Futtersuche zu gehen. Die Heuschrecken fliegen mit dem Wind und können bis zu 150 Kilometer am Tag zurücklegen. Dabei hinterlassen sie eine Spur der Verwüstung. Eine einzelne Heuschrecke verdrückt pro Tag in etwa ihr eigenes Gewicht an Pflanzenmaterial. Laut FAO verbraucht ein kleiner Schwarm von einem Quadratkilometer Größe täglich so viel Nahrung wie 35.000 Menschen.
Einige der Heuschrecken-Schwärme, die derzeit in Ostafrika über Felder und Weiden herfallen, sind längst viel größer. Im Nordosten Kenias wurde einer gesichtet, der sechzig Kilometer lang und vierzig Kilometer breit war, und die nächsten wachsen schon heran: In Puntland, im Nordosten Somalias, seien gerade frische Larven geschlüpft, sagt Keith Cressman von der FAO. Der Heuschrecken-Experte war gerade in Somalia und Äthiopien unterwegs, um sich einen Überblick zu verschaffen: „Mehr und mehr Larven schlüpfen, und das wird vermutlich noch bis in den März anhalten.“
Fatales Timing
Viele Bauern konnten ihre Ernte gerade noch einbringen, bevor sich jetzt die großen Schwärme bildeten. Trotzdem wurden Tausende Hektar Ackerland befallen. Die nächste Ernte könnte vernichtet sein, bevor die Pflanzen überhaupt herangewachsen sind. „Die nächste Pflanzsaison wird Ende März beginnen“, sagt Cressman. „Unglücklicherweise fällt dieser Zeitpunkt genau mit der Bildung neuer Heuschrecken-Schwärme zusammen.“
„Am besten ist es immer, in den Zentren, von denen solche Massenentwicklungen ausgehen, frühzeitig aktiv zu werden“, erklärt Thomas Fartmann. Solange die Larven an einem Ort bleiben, sind sie leichter zu bekämpfen als die umherziehenden Schwärme ausgewachsener Tiere. Doch nach Jahrzehnten ohne größere Heuschreckenplage sind die Länder am Horn von Afrika nicht mehr ausreichend vorbereitet. Und in Somalia, wo jetzt etliche dieser Heuschrecken schlüpften, sind weite Teile des Landes von der al-Shabaab-Miliz besetzt und dadurch kaum zugänglich. Bekämpft werden die Insekten deshalb zuerst in den benachbarten Gebieten.
Insektizide, was anderes hilft nicht.
Eingedämmt werden kann die Plage jetzt allerdings nur noch, indem die Heuschrecken großflächig aus der Luft mit Insektiziden besprüht werden. „Die eingesetzten Chemikalien wirken nur durch direkten Kontakt mit den Heuschrecken und zersetzen sich nach 24 Stunden“, erklärt Cressman. Auf diese Weise werde der schädliche Einfluss auf andere Organismen begrenzt. „In Äthiopien sind momentan vier Sprühflugzeuge im Einsatz.“ In Kenia würden fünf Flugzeuge den Schwärmen folgen, auch am Boden seien Sprüh-Teams unterwegs.
Von ihrem Erfolg hängt jetzt das Wohl der gesamten Region ab. Über dreizehn Millionen Menschen in Djibouti, Eritrea, Äthiopien, Kenia und Somalia sind laut den Angaben der FAO ohnehin von Nahrungsknappheit bedroht. „Die Situation ist sehr kritisch“, sagt Cressman. Die meisten Menschen in Ostafrika sind abhängig von Kamelen, Ziegen oder Schafen. „Ihre Tiere werden abmagern und krank werden“, sagt Cressman. Auch die Milch, mit denen viele Familien ihre Kinder ernähren, könnte knapp werden. Wird den Heuschrecken kein Einhalt geboten, könnten deshalb bald noch weitere Millionen von Menschen Hunger leiden.
(Quelle: F.A.S.)