#1 Alles zum Thema Balkan - Konflikte
Verfasst: 26.03.2020 10:59
Kosovos Regierung stürzt – das ist auch das Ende der transatlantischen Achse auf dem Balkan
Hinter der Abwahl des Linksnationalisten Albin Kurti steht ein Konflikt zwischen Washington und Brüssel. Die USA wollen das Heft in der Kosovofrage in die Hand nehmen und einen schnellen «Deal» zwischen Belgrad und Pristina erreichen.
Albin Kurti wurde als Ministerpräsident von Kosovo mitten in der Corona-Krise abgewählt.
(Valdrin Xhemaj / EPA)
Mitten im anbrechenden Seuchenzug des Coronavirus die Regierung zu stürzen, gilt auch auf dem Balkan als tollkühn. Doch genau das ist in der Nacht auf Donnerstag in Kosovo geschehen.
Die Regierung unter dem Linksnationalisten Albin Kurti von der Partei Vetevendosje («Selbstbestimmung») wurde mithilfe von deren Koalitionspartner LDK gestürzt. Sie bestand nur gerade sieben Wochen, nachdem es vier Monate gedauert hatte, bis sich die beiden Parteien über die Machtteilung verständigt hatten.
Persönliche Feindschaft
Das vordergründige Motiv des Sturzes ist ein Streit über das richtige Management der Corona-Krise. Der Regierungschef Kurti weigerte sich, den von Staatspräsident Hashim Thaci verlangten Ausnahmezustand zu erklären.
Tatsächlich aber ist seit dem Antritt der Regierung ein erbitterter Machtkampf zwischen den beiden im Gang, der die Handlungsfähigkeit des schwachen Staats in der Krisensituation zusätzlich behindert. Auch in Kosovo steigen die Zahlen der Corona-Infizierten. Das Gesundheitswesen ist in lamentablem Zustand.
Thaci und Kurti sind sich seit Ende des kosovarischen Unabhängigkeitskrieges 1999 spinnefeind. Der Staatspräsident verkörpert all das, wogegen Kurti mit seiner Bewegung über zehn Jahre gekämpft hatte: die Kaperung und Ausplünderung des Staates und eine opportunistische, ja devote Haltung gegenüber den westlichen Schutzmächten, deren Einfluss Kurti als kolonialistisch kritisierte.
Thaci ist der mächtigste Vertreter einer derjenigen «Kommandanten-Parteien», die nach dem Krieg aus der UCK-Guerillaarmee hervorgegangen sind und seither die Politik dominierten. Kurti ist mit seiner linksnationalistischen Bewegung gross geworden, die er dank seinem Charisma und seiner persönlichen Integrität absolut dominierte.
Thaci hasst und fürchtet Kurti, weil dieser die Justiz auf ihn ansetzen möchte. Käme es tatsächlich zu einer unabhängigen Untersuchung – was nach Kurtis Abwahl nicht geschehen wird –, brächte sie ein landesweites System von Korruption und Klientelwirtschaft an den Tag.
Ende der transatlantischen Achse
Der Machtkampf hat aber auch eine internationale Dimension. Dabei geht es um die Lösung der Kosovofrage, die zwanzig Jahre nach dem Krieg immer noch grosses Konfliktpotenzial birgt. Ebenso lange waren sich die USA und Europa in den wesentlichen Fragen meist einig: Sie gingen zusammen in den Krieg und bombardierten im Rahmen der Nato Serbien aus der Provinz.
Nach fast zehn Jahren Protektoratsregime verständigte man sich 2008 darauf, dass Kosovo unabhängig werden sollte (was allerdings fünf EU-Länder nicht mittrugen). Washington unterstützte später auch die weitgehend erfolglosen Bemühungen Brüssels, zwischen Kosovo und Serbien zu vermitteln, mischte sich aber inhaltlich nicht ein. 2013 erzielte die EU ein Abkommen, das in seinen Kernpunkten aber nicht umgesetzt wurde.
Genau besehen war es immer Washington, das in der Kosovopolitik vorausging. Die Europäer zogen nach einer Weile nach. Ist das auch jetzt wieder der Fall? Nehmen die USA der EU das Heft aus der Hand, nachdem diese zehn Jahre lang keine Einigung zwischen Belgrad und Pristina zustande gebracht hat?
Darauf deutet alles hin. Es klafft ein tiefer Graben zwischen den USA und den Europäern in der Kosovofrage. Thaci wird vom Sonderbeauftragten des Weissen Hauses und Vertrauten Trumps, Richard Grenell, unverhohlen unterstützt. Der amerikanische Botschafter zeigte sich am Mittwoch erfreut über die Durchführung des Misstrauensantrags. Die Entscheidung, ihn zu stürzen, sei ausserhalb Kosovos erfolgt, sagte Kurti in der Nacht auf Donnerstag.
Auf der andern Seite stehen Deutschland, Frankreich und die EU. Dort ist man der Ansicht, Kurtis Regierung hätte weitermachen sollen. Paris und Berlin hatten ans Parlament appelliert, das Misstrauensvotum abzublasen. So argumentierte auch die Schweizer Botschaft in Pristina – ein aussergewöhnlicher Schritt für Gesandte eine neutralen Landes.
Seit Trump Präsident wurde, ist die transatlantische Achse in der Kosovofrage brüchig. Das Weisse Haus setzt auch in dieser Weltgegend nicht mehr auf die Spezialisten des Aussenministeriums, sondern auf Vertraute des Präsidenten.
Washington will einen «quick fix»
Richard Grenell, der zurzeit auch noch als Botschafter in Berlin amtet, ist eine solche Figur. Kurz nach seiner Ernennung zum Sondergesandten machte er im Januar Schlagzeilen. Es sei ihm, sagte er ganz im Stil seines Dienstherrn, ein «wichtiger Deal» geglückt: In Kürze werde eine Eisenbahnverbindung zwischen Belgrad und Pristina in Betrieb genommen, und auch per Flugzeug würden die Städte wieder verbunden. Sein Erfolgsrezept, verriet er, sei es, die Wirtschaft zum zentralen Verhandlungsgegenstand zu machen. Allerdings scheint der «Deal» nicht viel mehr als eine Absichtserklärung beider Seiten zu sein.
Doch die Ambitionen reichten weit über das Wirtschaftliche hinaus. Shaun Byrnes, ein ehemaliger Diplomat mit Verbindungen ins State Department, ist überzeugt, es existiere ein fast vollständiges Abkommen, das im Geheimen zwischen Thaci und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic ausgehandelt worden sei. Dass solche Gespräche stattfanden, ist unbestritten. Ebenfalls bekannt ist, dass es dabei um einen Gebietsaustausch zwischen Serbien und Kosovo ging.
Dabei sollen serbisch beziehungsweise albanisch besiedelte Gebiete an der Grenze abgetauscht werden. Der Plan wurde erstmals im Sommer 2018 bekannt und rief in den beiden Ländern kontroverse Reaktionen hervor. Nationalisten auf beiden Seiten wehrten sich gegen die Hergabe von eigenem Territorium. Im Westen sind sich Politiker und Experten uneins. Die Mehrheit allerdings lehnte eine solche Lösung ab mit dem Argument, die Neuziehung der Grenzen nach ethnischen Kriterien öffne die sprichwörtliche Pandorabüchse auf dem Balkan. Auch Bosnien-Herzegowina und Nordmazedonien seien dann gefährdet.
Ethnische Siedlungsgebiete in und um Kosovo
(NZZ / lea.)
Kurti hatte sich von Anfang an gegen einen Gebietsaustausch gestellt. Ohnehin machte er klar, dass ihm an einem schnell herbeigeführten Abkommen nichts liege. Sein Schwerpunkt sollten Reformen im Inneren und die Korruptionsbekämpfung sein. Damit ist nun vorerst Schluss.
Herausgefordert sind nun die Europäer, welche die eingeschlafenen Friedensverhandlungen wieder in Gang setzen müssen. Andernfalls übernimmt das der Sonderbeauftragte Grenell noch so gerne.