Nach dem Sturm aufs Kapitol, als Trump noch Präsident war, soll der Generalstabschef des US-Militärs eine entscheidende Rolle gespielt haben. Wer ist Mark Milley?
(© Anna Moneymaker/Getty Images) Wollte auch mal zurücktreten, blieb dann aber – wohl auch, um auf Donald Trump aufzupassen: Mark Milley, US-Generalstabschef
Der Anfang vom Ende der Geschichte zwischen Donald Trump und seinem obersten General Mark Milley beginnt am 1. Juni 2020. Wenige Tage zuvor war der Schwarze George Floyd von dem weißen Polizisten Derek Chauvin in Minneapolis getötet worden. Im ganzen Land kam es zu Protesten, so auch auf einer Straße am Weißen Haus, die zum Black Lives Matter Plaza werden sollte. Der damalige Präsident Trump ließ sich den Weg freiräumen und lief vom Weißen Haus über den Lafayette Square vor die St. John's Kirche, um eine Bibel in die Kameras zu halten. Begleitet wurde er von einer Entourage, zu der auch Mark Milley gehörte. In Kampfuniform. Ein Auftritt, der vielfach kritisiert wurde, weil er den Anschein erweckte, dass die militärische Führung der USA das harte Vorgehen der Polizei gegenüber Demonstrierenden rechtfertige. Milley entschuldigte sich schließlich und der Generalstabschef des Militärs fiel seinem Präsidenten damit in den Rücken.
"Ich hätte nicht dort sein sollen", sagte Milley später in einer Videoansprache. "Meine Anwesenheit in diesem Moment und in dieser Umgebung hat den Eindruck erweckt, dass das Militär in die Innenpolitik verwickelt ist." Milley widersprach dem Präsidenten in den Wochen danach außerdem, als er sich öffentlich dagegen aussprach, Bundestruppen in die Städte des Landes zu schicken, um gegen die Protestierenden vorzugehen.
Milley soll an einen Rücktritt gedacht, ihn dann jedoch verworfen haben. Und auch Trump hielt an seinem obersten militärischen Berater fest – dem er jetzt Hochverrat vorwirft.
Milley steht im Zentrum eines neuen Buchs der US-Journalisten Bob Woodward und Robert Costa, in dem es unter anderem um die letzten Tage von Trump im Weißen Haus geht. Offiziell ist Peril ("Gefahr") ab diesem Dienstag im Handel, aber wie es üblich ist, werden vermeintlich Schlagzeilen bringende Szenen schon vorab verbreitet. Und eine dieser Szenen liefert also Milley. Der Generalstabschef soll nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar Vorkehrungen getroffen haben, um die Befehlsgewalt Trumps über Atomwaffen einzuschränken. Jeder US-Präsident ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte und hat die Macht über die Nuklearcodes des Landes.
Milley, so wird es von der Washington Post und anderen Medien berichtet, sei nach den Ereignissen des 6. Januars erschüttert gewesen und habe daher zwei Tage später ein vertrauliches Treffen mit den zuständigen Kommandeuren einberufen. Dort habe er sicherstellen wollen, dass es keinen Militärschlag ohne seine Zustimmung geben dürfe. "Was auch immer Ihnen befohlen wird, Sie folgen dem Ablauf. … Und ich bin Teil des Ablaufs", soll Milley gesagt haben.
"Demokratie kann schludrig sein"
Die Sorge über Trumps mögliche unberechenbaren Handlungen vor der Amtsübergabe am 20. Januar ließ den General außerdem, so wird es beschrieben, mehrere Anrufe tätigen.
Zweimal hat Milley demnach mit seinem chinesischen Counterpart General Li Zuocheng telefoniert, um Ängsten vor einem möglichen US-Angriff vorzubeugen. Zunächst vor der Wahl Anfang November und dann noch einmal in den Tagen, nachdem Trump-Anhänger ins Kapitol eingedrungen waren. "Wir sind 100 Prozent beständig", versicherte Milley. "Aber Demokratie kann manchmal schludrig sein."
Diese Gespräche sind der Grund, warum Ex-Präsident Trump dem Vier-Sterne-General nun Hochverrat vorwirft und mehrere Republikaner seinen Rücktritt fordern. Denn der von Trump nominierte und vom Senat mit großer Mehrheit bestätigte Milley wurde von der neuen Regierung nicht ausgetauscht. Er habe "vollstes Vertrauen in General Milley", sagte Biden in der vergangenen Woche nach den öffentlich gewordenen Berichten über dessen Handeln.
Die Opposition sieht das anders. Der republikanische Senator aus Florida, Marco Rubio, forderte Biden per Brief auf, Milley zu entlassen, da "die nationale Sicherheit" bedroht sei. In mehreren Interviews sagte er, das Verhalten des Generals käme einem Militärcoup gleich. Ex-Militärs sprachen bei Fox News von nicht eingehaltenen Befehlshierarchien. Trump warf Milley nicht nur Verrat vor, sondern nannte ihn in einem Statement außerdem einen "Vollidioten".
Milley selbst äußerte sich am vergangenen Freitag erstmals öffentlich zu den Ereignissen, die im Buch geschildert werden. Die Telefonate mit seinem chinesischen Amtskollegen seien "vollkommen im Rahmen der Pflichten und Verantwortlichkeiten" seines Jobs gewesen, sagte er auf dem Weg zu einer Reise nach Europa. Solche Anrufe seien "Routine" und dienten dazu, "in diesem Fall sowohl Verbündete als auch Gegner zu beruhigen, um strategische Stabilität zu gewährleisten". Weiter wollte sich der General nicht äußern. Ende September ist er gemeinsam mit Verteidigungsminister Lloyd Austin vor dem Streitkräfteausschuss des Senats geladen. Eigentliches Thema der Anhörung soll der Afghanistan-Abzug sein, nun wird jedoch erwartet, dass Milley auch zu den Tagen nach der Präsidentschaftswahl Stellung beziehen soll. Gegenüber den Politikern, die eine Kontrollfunktion des Militärs innehätten, werde er alle Details offenlegen, so Milley.
Es ist nicht nur das Woodward/Costa-Buch, das den General in diesen Tagen beschäftigen dürfte. Er steht als einer der Top-Militärs des Landes aufgrund des desolaten Abzugs der Truppen aus Afghanistan und der darauffolgenden Evakuierungsmission in der Kritik. Milley, der aus einer Militärfamilie stammt, hat selbst sowohl in Afghanistan als auch dem Irak gedient. "Wir alle empfinden Schmerz und Wut, wenn wir sehen, was sich in den letzten 20 Jahren und in den letzten 20 Tagen abgespielt hat", sagte der 63-Jährige auf einer Pressekonferenz Anfang September nach dem Ende des Militäreinsatzes. "Ich bin ein professioneller Soldat, ich werde meinen Schmerz und meine Wut unterdrücken und meine Mission erfüllen."
Vater und Mutter in der Navy
Milleys Vater war in der Navy und kämpfte im Zweiten Weltkrieg in Japan, seine Mutter war ebenfalls in der Navy und arbeitete während des Kriegs in einem Krankenhaus in Seattle. Nach seinem Bachelor-Abschluss an der Princeton University trat Milley 1980 der Infanterie bei. Im Verlauf seiner Karriere machte er noch einen Master in Internationalen Beziehungen sowie Nationale Sicherheit und Strategische Studien und stieg in den Rängen bis zum Chief of Staff der Armee auf. Bis er dann Ende 2018 von Trump als Vorsitzender für die Joint Chief of Staffs nominiert wurde. Damals berichteten US-Medien, dass Trump Milley sympathischer fand als einen Kandidaten der Air Force. Politico zitierte Militärkreise, die Milleys Auftreten als mitunter aggressiv und ruppig beschrieben. Etwas, das bei Trump gut angekommen sei.
Die Beziehungen zwischen dem Präsidenten und den obersten Militärs verlaufen normalerweise eher geräuschlos. Die Öffentlichkeit nimmt sie meist nur wahr, wenn Bilder aus dem sogenannten Situation Room mit Lagebesprechungen zwischen dem Präsidenten und seinen Generälen veröffentlicht werden. Berühmt ist das Bild, das Präsident Barack Obama, Vizepräsident Biden, Außenministerin Hillary Clinton und Generäle zeigte, als sie die Mission verfolgten, die zur Tötung Osama bin Ladens führte. Spätestens mit Milleys öffentlichem Widerspruch während der Black-Lives-Matter-Proteste war es mit Harmonie und Geräuschlosigkeit zwischen Trump und Milley vorbei. So sollen sie sich im Situation Room dann auch angeschrien haben.
Seine eigenen Positionen behält Milley auch unter der Biden-Regierung bei. Bei einer Anhörung vor dem Repräsentantenhaus zum Thema Rassismus bei den Streitkräften im Juni äußerte er sich deutlich: "Ich möchte die weiße Raserei verstehen, und ich bin weiß, und ich möchte sie verstehen … Was ist es also, das Tausende dazu veranlasst hat, dieses Gebäude (das Kapitol) zu stürmen und zu versuchen, die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika zu stürzen? Das will ich herausfinden ... Es ist wichtig für unser Militär." Ruhig und klar trug Milley das vor, die Aggressivität mancher republikanischer Abgeordneter prallte an dem General ab. Diese Ruhe wird er für seinen nächsten Auftritt vor dem Kongress nach den Enthüllungen über seine Rolle in den letzten Tagen der Trump-Präsidentschaft brauchen können.
(Autor: Rieke Havertz)