Die Belastung für Soldaten endet nicht, wenn Auslandseinsätze vorüber sind. Oft geht es im Kopf weiter – bis zur psychischen Erkrankung. Neue Fallzahlen zeigen: Posttraumatische Belastungsstörungen und Suizide innerhalb der Truppe sind weiter ein ernstes Problem.
Es braucht nicht viel, und plötzlich ist der Krieg zurück. Ein Geräusch vielleicht, oder bloß ein Geruch. Wer an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leidet, wird schnell mit einem Schlag von quälenden Erinnerungen heimgesucht. Militärangehörige sind besonders gefährdet, an PTBS zu erkranken, denn sie stehen besonders unter Druck. Auch für die Bundeswehr ist die Krankheit seit einigen Jahren ein Schwerpunkt der Präventionsarbeit und Gesundheitsvorsorge geworden.
Jetzt hat das Verteidigungsministerium neue Fallzahlen zu psychologischen Belastungen innerhalb der Truppe vorgelegt: Sie zeigen, dass sich die Fälle gemeldeter posttraumatischer Belastungsstörungen sowie versuchter Selbsttötungen von Soldaten weiter auf hohem Niveau befinden. Im Zeitraum von Januar bis Mai gab es demnach 81 neu diagnostizierte Fälle posttraumatischer Belastungsstörungen. Im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres hatte es 73 solcher Fälle gegeben. Die neuen Zahlen bedeuten also einen aktuellen Anstieg um rund elf Prozent.
Als posttraumatische Belastungsstörung werden psychische Probleme bezeichnet, die Menschen nach Katastrophen oder persönlichen Grenzerfahrungen entwickeln können. Wird jemand etwa Opfer einer Gewalttat oder erlebt einen schweren Unfall, dann schafft das menschliche Gehirn es nicht immer, das Erlebte zu verarbeiten.
Am häufigsten tritt PTBS nach leidvollen Erlebnissen auf, die durch andere Menschen ausgelöst wurden. Unter Soldaten gehört dazu der Beschuss mit Feuerwaffen und Granaten. Auch bedrohliche Mangelsituationen – wie Hunger oder Durst im Einsatz – können traumatisieren.
PTBS-Erkrankte erleben die traumatische Situation zum Teil im Kopf immer wieder, teilweise als filmartige Szene. Betroffene spüren oft Angst, ihre Gedanken sind düster. Dabei reagiert auch der Körper, etwa durch Zittern oder Übelkeit. PTBS-Patienten leiden außerdem häufig an Depressionen, einige fühlen sich taub oder empfindungslos.
In den vergangenen drei Jahren waren PTBS-Fälle in der Bundeswehr laut Statistik wieder leicht gestiegen. Den letzten Höchststand markierte das Jahr 2015 mit 235 Fällen, danach sanken die Fallzahlen leicht, stagnierten zuletzt aber auf einem weiter hohen Niveau.
Im ganz extremen Fall kann PTBS zum Suizid führen – die Gründe für Selbstmorde sind aber vielfältig und sehr individuell. Insgesamt liegt die Zahl der Suizide von Bundeswehrangehörigen nach den Angaben des Verteidigungsministeriums ebenfalls auf einem hohen Niveau: Zwischen Januar und Ende Juni gab es acht vollendete sowie 35 versuchte Suizide unter Soldaten. In einem vergleichbaren Zeitraum 2019 hatte es etwas mehr vollendete Suizide (12) gegeben, aber weniger versuchte Suizide (29).
Die Motive für Selbsttötungen lägen meist im Privatleben, hieß es bei der Bundeswehr in der Vergangenheit hierzu; allerdings könne in manchen Fällen auch die räumliche Trennung von Familien und Freunden ein Auslöser sein.
Der Bundestagsabgeordnete Alexander Müller (FDP) ist für das Thema Soldatenfürsorge innerhalb seiner Fraktion zuständig. Er hatte in einer Schriftlichen Frage die aktuellen Fallzahlen bei der Bundesregierung erfragt. Müller sagte zu WELT: „Den Anstieg der versuchten Suizide kann man nur mit Bedauern zur Kenntnis nehmen. Wir brauchen eine weitreichende und andauernde Sensibilisierung in der Truppe und bei den Vorgesetzten für die Erkennung von und Hilfe bei psychischen Krankheiten.“
Auslandsmissionen haben sich verändert
Soldaten müsste die bestmögliche Versorgung zur Verfügung gestellt werden. „Die gestiegenen Zahlen der PTBS-Erkrankten deuten auf eine vermehrte Inanspruchnahme der Hilfsangebote der Bundeswehr hin, das ist sehr erfreulich“, findet Müller.
Ihre härtesten – und somit potenziell traumatisierendsten – Kampfgefechte erlebte die Bundeswehr in Afghanistan und im Kosovo. In heutigen Auslandsmissionen geht es vor allem um die Ausbildung, Beratung und Schulung ausländischer Kräfte, derzeit nicht um aktive Kampfeinsätze.
Nach eigenen Angaben zählt die Bundeswehr das Erkennen und Vermeiden von PTBS zur „ständigen Führungsaufgabe“ und setzt dafür Ärzte, Psychologen, Seelsorger und Sozialarbeiter ein. Sogenannte Kriseninterventionsteams sollen sich während und nach dem Einsatz um Betroffene kümmern.
Die Bundeswehr begründete den Anstieg von Fallzahlen zuletzt als Folge stärkerer Belastungen, der langen Therapiedauer sowie einer größeren Offenheit im Umgang mit PTBS. Psychische Erkrankungen würden in der Truppe inzwischen besser akzeptiert.
Um PTBS-Erkrankungen vorzubeugen und zu behandeln gibt es in der Bundeswehr ein eigenes Psychotraumazentrum. Die Bereitschaft, sich dort Hilfe zu suchen, wachse, heißt es in der Bundeswehr. Einer Studie zufolge, auf welche die Bundeswehr verweist, geht davon aus, dass etwa drei Prozent aller Soldaten im Einsatz eine posttraumatische Belastungsstörung erleiden. Nur die Hälfte davon werde allerdings auch erfasst. Neben PTBS werden innerhalb der Truppe häufiger auch Anpassungsstörungen und Depressionen diagnostiziert.
(Von Christian Schweppe
Redakteur „Investigation und Reportage“)