https://www.welt.de/geschichte/article2 ... achte.htmlLange gingen Forscher davon aus, dass die Fluten des „Storegga-Ereignisses“ vor 8000 Jahren das Doggerland in der Nordsee endgültig überfluteten. Neue Analysen von Bohrkernen machen ein anderes Szenario wahrscheinlich.
Es klingt wie eine Version der berühmten Atlantis-Sage: Mitten im Meer lag eine große Insel. Mildes Klima und ein sanftes Relief machten es ihren Bewohnern leicht, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Der Zugang zu den Ressourcen des Meeres war ebenso bequem wie die Suche nach Essbarem auf den gewellten Ebenen im Inland. Dieses Land hieß Doggerland und bedeckte weite Teile der heutigen Nordsee. Doch vor etwa 8000 Jahren kam eine apokalyptische Katastrophe über das Land. Die Insel, vielleicht so groß wie Mecklenburg-Vorpommern, versank im Meer.
Wie das geschah, versucht ein britisches Forschungsteam unter Führung der Universität Bradford seit Jahren zu ergründen. Dabei geht es auch über die Rolle des sogenannten „Storegga-Ereignisses“, das vor gut 8000 Jahren eine gigantische Tsunamikatastrophe heraufbeschwor. In der Fachzeitschrift „Geosciences“ haben die Wissenschaftler jetzt eine Zwischenbilanz ihrer Arbeit vorgelegt.
Grundlage der Analysen waren Bohrkerne sowie Sonarkartierungen und Bodenproben, die mit einem Forschungsschiff vom Meeresboden vor der Ostküste Englands entnommen wurden. Das in den Sedimentschichten vorhandene Erbgut von Pflanzen und Tieren lieferte zum einen ein Bild von der Geografie von Doggerland, zum anderen ermöglichte es eine ziemlich genaue Datierung.
Es muss sich um eine grüne, hügelige Landschaft mit weiten Ebenen, Marschen, breiten Flüssen und Seen gehandelt haben, die sich nach dem Rückzug der letzten, der Weichsel-Eiszeit, vor 15.000 Jahren in den nun trocken fallenden Regionen im Süden ausbreiteten. Ems, Elbe und Rhein flossen in gänzlich anderen Dimensionen als in unseren Tagen. Die Themse mündete nicht in die Nordsee, sondern in den Rhein, der auf der Höhe der Bretagne den Atlantik erreichte. Und eine Landbrücke verband England mit dem europäischen Kontinent.
Auch Doggerland war zunächst keine Insel. Doch das Schmelzwasser der Gletscher nagte beharrlich an ihm, sodass es schließlich im Meer lag. Analysen von Pollen aus den Bohrkernen zeigen, dass die eiszeitliche Tundravegetation da längst von Mischwäldern abgelöst worden war, in denen nicht mehr nur Rentiere, sondern auch Großsäuger wie Fellnashörner, Wildrinder und -schweine auf Nahrungssuche gingen. Damit wurde Doggerland zum idealen Jagdrevier für die Jäger und Sammler der Mittleren Steinzeit.
Dieses grüne Paradies wurde um etwa 6200 v. Chr. Opfer einer gigantischen Katastrophe. Rund 450 Quadratkilometer des Storegga genannten Kontinentalabhangs vor der Küste Norwegens brachen in 150 bis 400 Meter Meerestiefe ab. 1780 Kubikkilometer Sedimente, Geröll und Steinblöcke ergossen sich in mehreren Schüben über eine Strecke von 200 Kilometern in die Tiefsee, schreibt die Kulturhistorikerin Linda Maria Koldau.
Das löste mehrere Tsunamiwellen aus, die sich über weite Teile der Nordsee und der Norwegischen See ausbreiteten und sogar die Küsten Grönlands erreichten. Geologische Ablagerungen zeigen, dass die Auflaufhöhen bis zu zehn, zwölf Meter betrugen, auf den Färöer- und Shetland-Inseln waren es sogar bis zu 20 Meter. Dabei, so die bislang herrschende Meinung, wurde auch Doggerland überspült und ging mit Mann und Maus unter.
Dieses Szenario wollen die Forscher Bradford und ihre Kollegen nicht mehr gelten lassen. Die Sedimentspuren aus dem südwestlichen Teil von Doggerland lassen vielmehr den Schluss zu, dass der Tsunami keineswegs die ganze Insel überflutete. Wahrscheinlich wurde seine Wirkung durch Wälder und Topografie gemindert.
„Unsere Daten deuten darauf hin, dass sich die Landschaft von dieser Überflutung zunächst wieder erholte. Der endgültige Untergang von Doggerland fand demnach erst einige Zeit nach der Storegga-Rutschung statt“, sagt Co-Autor Vincent Gaffney von der Universität Bradford. Die Analysen zeigten, dass sich über der chaotischen Tsunamischicht erneut deutliche Spuren von Flora und Fauna ablagerten.
Der Storegga-Katastrophe dürften vielleicht ein Viertel der Bewohner Doggerlands sofort zum Opfer gefallen sein, schätzen die Forscher. Doggerland blieb den Überlebenden erhalten, doch die Lebensumstände hatten sich deutlich verschlechtert. Das zurückflutende Meer hatte weite Teile der Insel verwüstet und versalzen. Große Gebiete wurden zu Sümpfen. Viele Wälder waren verschwunden und mit ihnen viele Tiere.
Die Reste von Muscheln und Bäumen zeugen in den Bohrkernen von der Katastrophe. Doch Schichten darüber belegen, dass das Leben darüber noch einige Jahrhunderte weiterging. Wie genau, lässt sich mangels archäologischer Spuren von Siedlungen nicht sagen. Skelettfunde aus dem benachbarten Jütland lassen zumindest den Schluss zu, dass der Kampf um schwindende Ressourcen am Ende des Mesolithikums offenbar mit Gewalt ausgetragen wurde.
Mit dem Schmelzen der letzten großen Gletscher stieg der Wasserspiegel um 5500 v. Chr. schließlich soweit, dass auch die letzten Teile von Doggerland überschwemmt wurden. Von ihm blieben nur noch die Felsen Helgolands übrig. Und England war mit dem Einbruch der letzten Landverbindung zur Insel geworden.
Doggerland - Wie eine gigantische Tsunamikatastrophe England zur Insel machte
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