Querdenker heute und einst: Wenn ein Wort erst mal "verbrannt" ist (2021-12-31)
Über eine Selbstbezeichnung, die nicht einfach so "zum Schimpfwort mutiert" ist
"Querdenker" sind nicht mehr das, was sie mal waren – jedenfalls wollen viele, für die das Wort früher positiv besetzt war, heute nichts mit der Bewegung zu tun haben, die es in der Corona-Krise als Selbstbezeichnung gewählt hat. Das Wort ist für sie "verbrannt"; oder sie wollen sich zumindest nicht ohne abgrenzende Erläuterung so nennen.
Das brachte neulich ein älterer linker Aktivist aus Bayern in einer Online-Diskussion auf den Punkt: "Ich beobachte seit geraumer Zeit, was das für Leute sind, die da für sich in Anspruch nehmen, 'Querdenker' zu sein. Dabei habe ich festgestellt, dass es andere sind als die, die man früher, also vor Corona-Zeiten, für Querdenker hielt. Querdenker waren immer die Rebellischen, die Nonkonformisten und die Altruisten."
Letztere habe man früher auf Demos getroffen, an denen weder Neonazis, noch "Reichsbürger" oder Verschwörungsmystiker teilgenommen hätten. "Auch diese Corona-Querdenker hätte man früher bei Querdenkerdemos nicht gesehen", meint er – was sicherlich auf die Mehrheit, aber nicht auf alle zutrifft. Laut einer Studie kommt die Bewegung zumindest teilweise von links, bewegt sich aber nach rechts.
An der Wahlurne sollen zumindest 18 Prozent der heutigen "Querdenker" 2017 noch für Die Linke gestimmt haben – was natürlich nicht heißt, dass diese 18 Prozent aktive Linke waren. "Corona-Querdenker" hätten sich immer im Hintergrund gehalten, wenn es darum gegangen sei, für die Entrechteten und Benachteiligten einzutreten, so der bayerische Aktivist.
Mit Benachteiligten meint er sowohl Geflüchtete als auch Menschen, die schon länger hier leben, aber trotzdem kein Wahlrecht haben oder wegen ihrer Hautfarbe immer noch als "Ausländer" gelesen werden, sowie Menschen mit Behinderung und chronisch Kranke, die sich mit der Hartz-IV-Bürokratie herumschlagen müssen – oder auch LGBTI, die heute zwar mehr Rechte haben als noch vor wenigen Jahren, aber in Teilen der Gesellschaft immer noch diskriminiert werden.
Weiterlesen ...