Pyridinium-Ion -- Kann dieses Molekül den Klimawandel bremsen?
Wolken reflektieren Sonnenlicht ins Weltall. Diese Licht kann die Erde nicht erwärmen
Quelle: Getty Images
Wolken reflektieren Sonnenlicht ins All. Damit wirken sie der Erderwärmung entgegen. Nun haben Forscher ein Katalysator-Molekül entdeckt, das in der Atmosphäre die Entstehung von Wolken beschleunigt.
Die größte Unsicherheit bei der Vorhersage des künftigen Weltklimas wird von Wolken verursacht. Wolken können das Licht der Sonne direkt ins All zurückschicken. Dieses reflektierte Licht trägt dann nicht mehr zur Erderwärmung bei. Die Frage ist nur: Werden wir in Zukunft eher mehr oder weniger Wolken haben? Und kann eine größere Wolkenbedeckung den Trend der globalen Erwärmung bremsen?
Lange bekannt ist, dass Wolken aus kleinsten Wassertröpfchen entstehen, die sich in der Atmosphäre an winzigen Partikeln bilden – den sogenannten Aerosolen. Viele dieser Aerosole sind menschengemacht und gelangen aus Industrieschornsteinen in die Atmosphäre.
Nach Einschätzung von Klimaforschern wäre der bisherige Temperaturanstieg noch größer ausgefallen, wenn nicht Aerosole die Wolkenbildung stimulieren und damit in gewisser Weise die Erde kühlen würden.
Nun haben Wissenschaftler aus Frankreich, Japan und Österreich einen bislang unbekannten Effekt entdeckt, der die Bildung von Wolken sehr stark fördert. In der Fachzeitschrift „PNAS“ berichten sie, dass sogenannte Pyridinium-Ionen die Entstehung von Wassertropfen an Aerosolpartikeln stark beschleunigen.
Damit kommt diesen Ionen eine große Bedeutung im Verständnis des Klimawandels zu. Pyridin ist ein ringförmiges Molekül aus Kohlenstoffatomen, wobei ein Kohlenstoffatom durch ein Stickstoffatom ersetzt ist. Beim Pyridinium-Ion ist eine positive elektrische Ladung an diesem Stickstoffatom lokalisiert.
Quelle: Infografik WELT
Dem Wachstum eines Wassertröpfchens wirkt ein Effekt entgegen: An der Oberfläche des Tropfens verdampfen immer wieder auch Wassermoleküle, sodass der Tropfen dadurch an Masse verliert. Bei Experimenten in einem Labor der Universität Lyon stellten die Forscher fest, dass die Anwesenheit von Pyridinium-Ionen das Verdampfen von Wasser am Tropfenrand behindert. Dies bedeutet, dass Pyridin das Wachstum von Wasseraggregaten in der Atmosphäre und damit die Entstehung von Wolken fördert.
Die Wissenschaftler zeigen sich von ihrem Forschungsergebnis überrascht. Dass Pyridinium-Ionen bislang nicht in Wassertropfen der Atmosphäre nachgewiesen wurden, hängt nach Einschätzung der Forscher möglicherweise damit zusammen, dass dieses Molekül nicht in den Tropfen verbleibt, sondern diese wieder verlässt.
„Pyridin ist in den allerersten Phasen der Bildung von Nanotropfen beteiligt. Wenn der Wassertropfen wächst, wird das Pyridin eventuell wieder freigesetzt“, erklärt Co-Autor Professor Tilmann Märk von der
Universität Innsbruck, „dann kann das Molekül erneut eingreifen, um einen nächsten Tropen zu bilden.“ Das Pyridin wirkt also wie ein Katalysator, der etwas stimuliert, dabei aber selber nicht verbraucht oder verändert wird.
Pyridin entsteht bei der Verbrennung von Biomasse, also beispielsweise beim Abbrennen von Regenwald. Weitere Pyridin-Quellen sind Autoabgase und auch Tabakrauch. Die Lebensdauer von Pyridin-Molekülen in der Atmosphäre schätzen die Forscher auf rund eineinhalb Monate.
Die neuen Erkenntnisse zeigen, wie kompliziert die atmosphärischen Vorgänge bei der Entstehung von Wolken sind, die das Erdklima beeinflussen können. Andere Forschungsarbeiten hatten bereits einen Einfluss der kosmischen Strahlung auf die Bildung von Wolken gezeigt.
Noch ist es zu früh, aus der Messung des Pyridin-Effekts konkrete Schlussfolgerungen für kommende Klimaentwicklungen zu ziehen. Klar ist indes, dass man auch noch diese bislang unbekannte Wechselwirkung in den Klimamodellen wird berücksichtigen müssen.
Man könnte spekulieren, dass sich Pyridin möglicherweise für sogenanntes Geo-Engineering eignen könnte. Durch absichtliches Einbringen dieser Substanz in die Atmosphäre könnte gezielt die Bildung von Wolken stimuliert und so die Erde gekühlt werden. Doch bevor es zu einer solchen Anwendung kommen könnte, wäre noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Insbesondere müssten gefährliche Nebenwirkungen ausgeschlossen werden.
(Von Norbert Lossau - Chefkorrespondent Wissenschaft)